Letztes Kapitel – Ostsee & Deutschland

 

Wir legen ab und die Lichter von Liepāja kleiner und kleiner. Es waren großartige drei Wochen in einem großartigen Teil Europas, auch wenn ihm nicht wirklich gut geht und die jüngste Vergangenheit als Hypothek mit sich trägt.

 

Etwas kindisch personifiziert, stelle man sich die drei Länder als drei junge Maiden aus einem Märchen vor: Sie alle sind wunderschön, und sie alle haben vieles gemeinsam erlebt, auch furchtbares durchlitten. Doch sie haben nichts von ihrem Charme eingebüßt. Jetzt, von der Fuchtel ihres bösen Stiefvaters befreit, blühen sie wieder auf, wenn auch nunmehr die fernen reichen Verwandten nach dem rechten schauen...

 

Litauen und Lettland – die beiden Schwestern: erstere, die ältere, ist ein ziemlich selbstbewusstes Bauernmädel, etwas wohlhabender, nie unfreundlich oder zickig. Zweitere, die jüngere – wesentlich ärmer als ihre quirlige Schwester, bescheiden, aber das macht sie um so liebenswürdiger. Sie ist auch diejenige, die sich irgendwie nicht völlig von ihrem Stiefvater zu lösen vermag, obwohl sie mit am meisten unter ihm gelitten hatte. Estland hingegen ist die Cousine, die mit im Haus wohnt. Kühl, etwas unnahbar, fast abweisend, aber stets korrekt. Sie scheint allerdings ihren Bezugspunkt weniger in ihrer baltischen WG denn bei ihrem großen Bruder Suomi nördlich der Ostsee zu finden.

 

An der Rezeption ergattere auf Nachfrage wider Erwarten gegen einen moderaten Aufpreis einen Bettplatz in einer Kajüte. Mein Zellengenosse ist ein in Camouflage gewandeter etwas übergewichtiger Russe, der aber in Deutschland lebt auch und recht gut deutsch spricht. Er war seine alten Armeekumpels besuchen, denen er bis heute verbunden ist, seit er in den 70ern in Lettland stationiert war. An Deck lerne ich noch eine nette wie hübsche lettische junge Frau kennen, sie ist mit ihrer Freundin unterwegs und sie ziehen sich sich auch schon bald zurück.

 

Ansonsten alles wie gehabt: Auf dem Deck geht es laut zu, die Trucker geben sich die Kante. Dass es schon wieder bald hell ist, scheint sie nicht zu stören. Einige von ihnen picheln bis spät in die nächste Nacht hinein – da verbleiben ja nur noch eine Handvoll Stunden bis zum Anlegen – wie wollen die ihren Job machen? Ich beschließe, morgen entweder als erster oder letzter die Fähre zu verlassen werde, um den Brüdern nicht unter die Räder zu kommen. Erstaunlicherweise ist das hübsche nette lettische Mädel unter ihnen, ohne Freundin, aber dafür ordentlich unter Strom und in Gesellschaft von drei-vier ebenso blauer Ritter der Landstraße, die ihre Pfoten überall auf ihrem Körper geparkt haben. Wie gehabt auch: Raubtierfütterung, vier mal. Barbetrieb, nicht zu lange. Fernsehzimmer, vollgequalmt. Kein Auge zugedrückt, bis auf knappe drei Stunden vor der Ankunft.

 

Deutschland empfängt uns mit Regen und grauem Himmel und Kühle. Wie geplant, verlasse ich als letzter das Schiff. Komischerweise hat das bedrohliche Rumpeln im Antriebsstrang aufgehört und ich lasse es gut sein. Jetzt gibt’s ja zur Not den ADAC. Der kalte Regen sowie die übervollen mickrigen und engen deutschen Landstraßen nerven ordentlich. Kurz vor Schwerin wird das Wetter super, um kurz nach Schwerin dann so richtig alle Schleusen zu öffnen. Ich muss sogar trotz Regenkombi absteigen und mich irgendwo unterstellen. Nach geraumer Zeit erreiche ich Neuruppin, bin also quasi zu Hause, und auch der Regen hat aufgehört, und die Julisonne trocknet zügig Mensch und Material.

 

Zuhause packe ich ab und werfe alle Klamotten in die Ecke. Nach 5000 km on-ze-rohd bin ich zu verwildert, um sofort brav auf „Urban“ umzuschalten. Also renne ich zauselig und in Moppedklamotten wie ich bin wieder raus und suche im Späti ein Bier, das dem Utenos Dark am Nächsten kommt. Glücklicherweise werde ich bei den Produkten tschechischen Ursprungs fündig und pflanze mich auf eine Parkbank, bis es dunkel wird.

 

Und es wird dunkel. Denn Deutschland ist ja ein südliches Land.