Astotā Nodaļa – Latvija

 

Abend wurd's, die Sonne noch schien helle, als eine CB500 blitzesschnelle (soweit man mit einer CB500...) gradwegs nach Liepāja fuhr.

 

Gegen sieben erreichte den Ort, an dem vor knapp drei Wochen meine Reise begann und quartierte mich im selben Hostel ein. Die Studentin an der Rezeption erkannte mich auch gleich wieder, obwohl ich ihr nunmehr staubig, schmutzig und zugewuchert entgegentrat. Nach einer ausgiebigen Dusche verputzte ich mein Abendessen, goss noch ein paar Bier nach und legte mich im Gemeinschaftsraum vor die Glotze. Lettische, litauische, deutsche, weißrussische, amerikanische, russische, polnische Kanäle flimmerten vor meine Augen. Und das war gut so.

 

Liepaja. Am Hostel.
Liepaja. Am Hostel.

 

 

11.07.2016

 

Heute bleibt der Motor kalt – wir wandern durch Liepāja halt:

  • Fußmarsch in die Stadt, dabei Besuch eines zufällig auf dem Weg liegenden Friedhofs. Die Lebenserwartung der Balten war schon immer hoch, scheint mir. Auf einem lettischen Soldatenehrenmal prangt ein fettes Hakenkreuz. Nein, nicht zu Ehren der gefallenen Nazikollaborateure, sondern zum Andenken die ersten Toten der republikanischen Armee im Bürgerkrieg von 1919.

  • Besuch eines Second Hand Shops. Stünde er in Prenzlauer Berg oder Notting Hill, wären die Preise um das 20fache höher.

  • Eine Runde über den Petertirgus, den Petersmarkt. Es gibt fast alles, was man an Essen, Trinken und Haushaltskram braucht.

  • An den Stand gegangen. Weißer Sand. Ein paar Pavillons mit Essedringe, etwas Russenpop, aber nicht aufdringlich. Saß dort ein gutes Stündchen, Meer und Himmel anglotzend.

  • Durch die Gassen und Straßen gewandelt. Nein, nicht nur in Tartu oder Pärnu, auch hier gibt es grandiose Holzpaläste, mit Türmchen, Balkonen und Schnitzereien als Verzierungen. Leider viele verriegelt und verrammelt, oft ein Schild „Pārdod“, zu verkaufen, davor. Eigentlich ein Fall für den Denkmalschutz. Doch das Land ist arm und die neoliberale EU bläst lieber „systemrelevanten“ Spielern das Geld in den Allerwertesten...

  • Im Innenstadthafen liegen zwei kleine Militärschiffe. Keine Wachen davor. Am Kai – die besten Hotels der Stadt, das Fontaine Royal und das Promenade Hotel. Fettes Holz in der Lobby, solide Zimmerer- wie Tischlerarbeit. Unweit davon – ein modernistisch-futuristisches Kulturzentrum, sieht aus wie eine Mandarine, sowohl der runden Form und wegen der orangefarbenen Verglasung wegen.

  • Die Rigaer Straße langgelaufen, aber keine Hausnummer 94 entdeckt. Eher dörflich, obwohl sie im Schatten der Sportstätten- und Shopping Mall-Betonklötzer liegt. Aus einem Hinterhof hört man gleichermaßen russisches wie lettisches Gebrülle, ausgestoßen von besoffenen Individuen beiderlei Geschlechts. Ein Fernseher brüllt Putinpropaganda auf die Gasse.

  • Der Bahnhof von Liepāja ist ein Trauerspiel. Einst, wie überall im urbanen Europa, eine Kathedrale der Moderne, mit hohen Bögen, Stuck usw. Doch heute: Der Putz bröckelt. Wasserflecken an den Wänden. Alle Schalter – zu. Ein paar Kioske verticken Chinakram und Fast Food. Passagierzüge fahren keine mehr. Das Bahnhofsgebäude ist nunmehr eine überdimensionierte Wartehalle für die Passagiere der Überlandbusse, die auf dem Vorplatz halten. Der Eisenbahnverkehr ist reiner Güterverkehr. Alle Signale stehen auf rot, die Güterzüge mit dem Ziel Pskow, Minsk und dergleichen, bewegen sich keinen Millimeter. Auf dem Perron gammeln Lokführer der russischen, weißrussischen und lettischen Staatsbahnen herum, rauchen und langweilen sich. Wahrscheinlich, reine Spekulation, warten sie auf die Zollabfertigung. Oder das Ende der EU-Sanktionen.

  • Über die Gleise führt eine Fußgängerbrücke. Dahinter beginnt wieder die Sowjetunion. Ein verfallendes Schulgebäude, aber wohl noch in Betrieb, denn da hängt eine offiziöse Tafel am Eingang. Eine junge Mutter mit Kind im Schlepptau hetzt Richtung naheliegendem Kindergarten, um einen weiteren Sprössling abzuholen. Der Kindergarten ist nicht leer, obwohl es auf die sieben am Abend zugeht. Die Kindergärtnerin ist gutgelaunt, beide Frauen reden ein wenig miteinander, es scheint herzlich zu sein.

  • Back to Hostel: Noch 6 Stunden zur Fähre. Kram packen. Power-TV-Glotzing Part 2, ohne Bier, aber dafür interessantere Sendungen als gestern.

Liepaja. Zentrum & Leerstand...
Liepaja. Zentrum & Leerstand...

 

 

12.07.2016

 

Gegen Mitternacht bin ich TV-blöd in der Birne und will zum Hafen. Doch der schweigsame Pförtner, derselbe wie am ersten Tag (...die Schlüsselgeschichte...), bedeutet diesmal strikt umzukehren. Die Abfertigung habe noch zu.

 

Also setze ich mich auf den Bock und fahre in das mitternächtliche Liepāja ab. Wo im tagsüber Leben war, ist alles ruhig, die Bürgersteige sind hochgeklappt. Ab und zu heizt ein SUV durch die Gassen wie nichts gutes. Dann drehe ich eine weiter gefasste Runde um die Stadt, durch Industriegebiete, Hafenanlagen, tanke noch einmal bei Statoil voll auf. Biestig entreißt mir die Tresenkraft meine dem Kühlschrank entnommenen Biere. Es sei nach 22 Uhr, Sperrstunde für Alkoholverkauf. Wieder was gelernt.

 

Die ganze Zeit schon macht die Antriebskette ganz üble Geräusche, und obwohl sie alle 1000 Kilometer artig und üppig mit Kettenspray behandelt wurde, es mahlt, knirscht, klappert und krächzt wie noch nie zuvor, und es wird minütlich unerträglicher. Eine Va-Banque-Fahrt, ich befürchte fast, sie reißt mir jetzt noch oder springt von den Zahnrädern. Das hätte noch gefehlt! Die acht letzten Kilometer fahre ich langsam, niedertourig und vermeide jedes Schalten und jeden noch so kleinen Lastwechsel.

 

Der Terminalparkplatz ist voll mit Trucks und Touris. Auch zwei wohlhabende lettische Yuppies auf Honda Goldwing respektive BMW K1600 GT sind am Start. Der eine lässt immer seinen Bock im Stand laufen, das nervt. Drogenfahnder (!) befehlen ihm wiederholt recht unwirsch, den Motor auszumachen. Etwas unstrukturiert fahren die Lastwagen auf die „Urd“, mal zwei, dann einer, dazwischen ein PKW, dann drei Trucks, dann passiert wieder eine Viertelstunde nichts. Das ganze wiederholt sich so vier fünf Mal. Wir hätten schon längst abgelegt haben sollen. Und der BMW-Motor läuft wieder im Leerlauf.

 

Dann, irgendwann, sind auch wir um Bauch des Schiffes angelangt, und es klärt sich auf, warum alles so lange gedauert hatte: Ein junger Zugmaschinenfahrer hatte seine liebe Mühe, eine große Anzahl sperriger Landmaschinen zentimetergenau auf dem Deck an die vorgeschriebenen Plätze zu manövrieren.

 

Die Besatzung an Rezeption und Bar ist diesmal eine andere. Die Crew ist weniger herzlich als die erste, wahrscheinlich, weil der Kahn voll ist und sie Stress haben. Oder, ganz einfach, weil ich, am Ende meiner Fahrt angelangt und nicht voller Vorfreunde an ihrem Beginn stehend, das lediglich so empfinde.